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Notiz 68: Dass Schießen Spaß macht…

Der 1. September ist von einiger Bedeutung, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien. Aus sehr unterschiedlichen Gründen. In Italien beginnt an diesem Tag die alljährliche Jagdsaison. Schon in den Wochen zuvor werden die armen, ausgemergelten Hunde trainiert, von ihren viel besser im Futter stehenden Herrchen, und am ersten Wochenende im September geht es dann so richtig los. Martialisch kostümiert, im wahren Sinn des Wortes, also dem Kriegsgott Mars huldigend in Tarnklamotten, mit Schießprügeln über der Schulter, am Anfang, wenn es um den Feldzug gegen die gemeingefährliche Tortora, die Turteltaube, geht, häufig auch in eigens für die Jagd gebauten kleinen Unterständen aus Ästen und Zweigen, opfern ganz viele italienische Männer (Frauen haben wir bei dieser Tätigkeit noch nicht gesehen) viele Tage, oft von morgens bis abends, und oft – trotz unaufhörlichem Geballere – ohne vorzeigbares Ergebnis. Kopfschüttelnd beobachten wir Deutschen dieses Schauspiel; da sind wir doch auf dem Weg zu einer höher stehenden Kulturentwicklung ein ganzes Stück weiter fortgeschritten. Denken wir. Und sagen wir uns auch gerne. Und schütteln erneut die Köpfe. Auch ich.

Und dann spielt der Zufall mir ein Hochglanzprodukt des deutschen Pressewesens in die Hände. PIRSCH heißt es. Ich lese. Und staune, ein ums andere Mal. Und lerne. Was ich zum Beispiel überhaupt nicht wusste, obwohl ich doch in meinem langen Leben an sehr vielen Dingen meinen Spaß hatte. wenn ich auch nicht der später sich formierenden Spaßgeneration angehörte. Aber auch diese hat, soweit ich weiß, nicht gewusst, was der Chefredakteur der PIRSCH weiß. Und weil vielleicht der eine oder die andere das nicht so recht glauben mag, sei hier das Editorial faksimiliert wiedergegeben:

Schiessenmachtspass

 

Aber es gibt noch mehr, viel mehr zu lernen. Nicht nur in den Annoncen, auch in seitenlangen Artikeln werden Waffen dargestellt, wie etwa der „Geradezugrepetierer, der neue Maßstäbe setzt“ oder der „Verwandlungskünstler“, kein Komiker auf der Cabaret-Bühne, sondern „der neue Mauser-Stutzen M 03, der mit wenigen Handgriffen in eine herkömmliche Repetierbüchse mit Halbschaft umgebaut werden kann.“ Sehr bedauerlich, klar, dass die Jagdsteuer in der Pfalz nicht abgeschafft wird. Erfreulich dagegen die Kochrezepte: Rehleber mit Thymian oder Keulenscheiben vom Reh. Und dass unter „Bekanntschaften“ eine Jägerin mit Hund, unabhängig, ca. 1,80 m „Dich kennenlernen“ möchte, leuchtet auch sofort ein, denn die Auswahl ist sicherlich groß und „Jede Sau ist anders“ (Artikelüberschrift auf S. 34).

Tja.

In Deutschland dagegen – oh, sorry, wir sind ja in Deutschland. PIRSCH erscheint zwei Mal im Monat. Mit einer Auflage von rund 35.000. Da bin ich ja womöglich irgendwie auf dem falschen Ufer, wenn ich den 1. September, wie üblich seit vielen Jahren, als jenen Tag begreife, der seit den 50er Jahren auch in der Bundesrepublik als Antikriegstag begangen wird. Also als Tag, der das Schießen nicht als Spaß versteht. Ja natürlich, ich weiß, ich weiß, da ist ein Unterschied zwischen dem, was PIRSCH meint und dem, was in Afghanistan vor sich geht. Aber könnte es nicht sein, dass jahrelanges Denken und Reden davon, dass Schießen Spaß macht, sich in zahllosen Hirnen als Grundsatz verfestigt hat? Zumal, wenn inzwischen auch Menschen, die man auf einem anderen Dampfer wähnte, uns erklärt haben: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“. Ja wie denn? Mit dem Verteilen selbstgebackener Eierkuchen? Und wie sieht das an den anderen Schauplätzen aus? Derzeit sind rund 7300 deutsche Soldaten auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren im Einsatz (so der deutsche Bundeswehrverband vor wenigen Tagen). Bei Auslandseinsätzen kamen laut Wikipedia seit 1990 insgesamt 99 deutsche Soldaten ums Leben (Stand: 5. August 2011). Durch Ringelpietz mit Anfassen? Und wo gibt es die Zahlen derer, die durch deutsche Schusswaffen oder sonstige Munition gestorben sind?

Dass Schießen Spaß macht – hier in Italien sehen wir es jedes Jahr ab dem 1. September in der Jagdsaison. Sind wir in Deutschland wirklich auf einer höheren Kulturstufe angelangt? Ich habe da meine Zweifel. Den 1. September auch weiterhin als Antikriegstag zu begehen wie seit Jahrzehnten scheint durchaus angebracht. Finde ich.

28. August 2011