ITA ING DEU

Notiz 38: Sempre con calma oder die Wiederentdeckung der Langsamkeit

Jetzt könnte ich doch, ehe ich die Wäsche aufhänge, noch schnell eine neue AdagioNotiz schreiben. Die letzte Ausgabe datiert vom November 2006, über vier Monate ist das her, und die Frage, wann es denn einen neuen Text zu lesen gebe, wird immer öfter gestellt. Und auch ich selbst setze mich diesbezüglich unter Druck – und weiß doch genau, wie falsch das ist. Schon vor vielen Jahren, in den Zeiten des unumgänglichen Geldverdienens, habe ich mich immer mal wieder ermahnt: sempre con calma, Junge – immer mit der Ruhe, sonst wird das nichts. Dieses elende, magengeschwürfördernde Dalli-dalli, Zack-zack und Na-wird’s-bald, das spätestens seit Beginn des Studiums mein Leben zunehmend bestimmte, war mir irgendwann suspekt geworden. Angestoßen vielleicht auch durch solche Geschichten: ein Geschäftsmann in New York hat einen Gast aus Hongkong zu Besuch, auf dem Weg vom Büro zum Lunch drängt er zur Benutzung des Lifts: da sparen wir fünf Minuten! Und? Fragt der Chinese (damals noch ein Symbol für fernöstliche Gelassenheit und nicht, wie heute, für turbokapitalistischen Effektivismus) – Und? Was machen wir mit diesen fünf Minuten?

Die Diktatur des Tempos: auf der Schnellstraße ganz schnell ins Schnellrestaurant mit Drive-through (oder gar zum Schnellimbiss im Stehen), ehe man mit dem frischen Outfit aus der Schnellreinigung rasch im Schnellkochtopf die Fünf-Minuten-Terrine heiß macht und runterschlingt, bevor man nach einem raschen Kurzbesuch bei den Eltern und ein paar schnellen Telefonaten mit Freunden ins Bett eilt, wo es dann – wenn’s sein muss – noch einen Quickie gibt…

Das Gegenmodell dann eben: sempre con calma. Nicht zufällig oder aus Snobismus italienisch ausgedrückt: in Turin ist schließlich Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts das Programm entstanden, das unter dem Begriff Slow Food firmiert. Richtig: das ist kein sehr italienischer Begriff, aber er soll eben den Kontrast ausdrücken zu der Fast-Food-Perversion. Ebenfalls sehr beeindruckt hat mich, was ich in meinem Yoga-Buch gelesen habe: Im Yoga gibt es die Vorstellung, dass jedem Menschen eine bestimmte Anzahl von Atemzügen zur Verfügung steht. Je schneller man atmet, umso schneller ist das Leben vorbei. Und deshalb – unter anderem – auch mein Entschluss, aus dem Land des Hechelns umzusiedeln, zu wechseln aus dem jahrzehntelang (und durchaus vorsätzlich und gern) geführten Leben in Städten, in München, Stuttgart, Frankfurt, Köln, in das völlig andere, in vieler Hinsicht unbekannte Leben auf dem italienischen Land; den Ruhestand dort zu suchen, nicht als Still-Stand und Unbeweglichkeit, wohl aber nach der Devise „adagio“ statt dem früheren rekordsüchtigen „presto“. Und der Wechsel ist auch gelungen, fast drei lange Jahre lang.

Und dann dieser Rückfall. Wahrscheinlich so unvermeidlich (wenn man nicht höllisch aufpasst) wie bei Rauchern oder Alkoholikern. Ein tief eingeschliffenes Verhaltensmuster, das ganz schnell wieder und ganz automatisch die Abläufe bestimmt. Da war, nach dem anstrengenden, manchmal an die physischen und psychischen Grenzen stoßenden Umbau des ziemlich heruntergekommenen Hauses,  die Idee, noch ein weiteres Appartement einzurichten. Der Rohbau stand bereits, die Erfahrungen waren vorhanden, der Spaß an der Sache auch. Und dann: selbst gesetzt der Termin der Fertigstellung, der dann irgendwann wie eine objektive, unumstößliche „Deadline“ wirkt ein Druck, der sich aufbaut und verstärkt, zeitlich und finanziell, bis schließlich für nichts anderes mehr Raum ist. Angeblich.

Kurz vorm drohenden Kollaps dann zum Glück diese Erinnerung. Nichts da mit „schnell eine neue AdagioNotiz schreiben“! Auch deutsche Weisheit findet passende Worte: gut Ding will Weile haben. Wer zwingt mich denn, wer treibt mich zur Eile, wer erhöht mit jedem Tag den Druck? Ich. Also kann auch ich das ändern. Sempre con calma! Zurück zu der schon einmal erreichten, gelebten, genossenen Langsamkeit! So schnell wie möglich…

 

Ostern 2007

Notizen 37 Gespenstisches

Er hängt noch immer hier über dem Corso, der Hauptstraße von Corinaldo, der Hinweis, auf ein unregelmäßig geschnittenes einfaches Holzbrett gemalt, rot-bluttriefend, der Wegweiser zum „Tunnel della Paura“ (Tunnel der Angst). Ein letztes Überbleibsel des in den letzten fünf Oktober-Tagen – nein: -Nächten, natürlich! – zelebrierten „Halloween-Festivals hier in diesem Städtchen mit der einzigen Heiligen in den ganzen Marken. Der Tunnel der Angst: vor seinem Eingang drängelten sich die Menschen, viele (im Jahr zuvor 70 000…) von weit her angereist, manche auch von den umliegenden Dörfern und Höfen, sie zahlten den einen Euro Eintritt und erlebten auf dem Weg zum Ausgang (etwa 300 Meter weiter in der Burgmauer, durch die der zur Angstmeile umfunktionierte sonstige Spazierweg führt) wahrlich Gespenstisches. Düsteres Licht, nur manchmal von Stroboskop-Blitzen durchzuckt, lange Spinnwebenfäden wabern an den Wänden und von der Decke, allenthalben fasst aus einer unerkannten Nische eine knochige Hand, aus offenen Särgen erheben sich Scheintote, bleich und blutig, vom Tonband über viele Boxen ächzt und stöhnt und kreischt es (komischer Gedanke plötzlich: den Sound könnte man vermutlich auch unverändert einem Pornofilm unterlegen). Kurz: ein Erlebnis wie früher (oder auch heute noch?) auf Volksfesten und Jahrmärkten bei der Fahrt mit der „Geisterbahn“. Der harmlose Horror lässt die Besucher am Ende des Tunnels heiter ins warme Licht der fackelbeleuchteten mittelalterlichen Straßen treten.
Aber auch sonst viel Gespenstisches hier. Überall hängen weiße Gerippe und aus Stofftüchern (Servietten?) geformte Kleingeister herum, an Laternen, Stromleitungen, Fensterläden. Viele Menschen – und nicht nur die bambini, auch die vielen kokett blickenden ragazze – tragen die kegelförmigen Hexenhüte, dazu schwarze Umhänge und spitze Schuhe (nun, die sind ohnehin in Mode hier in Italien), kehren in eine der zahllosen kleinen Schänken ein, wo es die unterschiedlichsten Angebote an Essen und Getränken gibt, auch das alles unglaublich billig. Für mich besonders gespenstisch: auf der Riesenbühne am großen zentralen Platz der Stadt ein Alleinunterhalter, eine Art Stefan Raab al italiano, die wenigen Worte der wie MG-Salven aus den Boxen knallenden Sätze, die ich verstehe, sind entweder dümmlich oder obszön, aber stets belohnt vom Lachen und Klatschen der anwachsenden Menschenmenge.
Corinaldo; seit ein paar Jahren also das Zentrum des Halloween-Kultes in Italien. Keine gewachsene Tradition hier, sondern importiert, erfunden und vorangetrieben von einem publicitybewussten Bürgermeister und einer Gruppe fröhlich-geschäftstüchtiger Leute. Und so wurde auch ein anderes Ritual integriert, hierzulande auch im Sommer weit verbreitet: eine Miss-Wahl. Jetzt passend die Miss Strega, die schönste Hexe im ganzen Land. Naja: Dorf. Es ist November inzwischen, die Tage von Halloween sind vorüber. Aber sie haben Nachwirkungen, bei mir. Sie haben meinen Blick geöffnet für so viel anderes Gespenstisches hier, und nicht nur hier… Zum Beispiel die aktuelle italienische Politik, in der noch immer – oder schon wieder – das Gespenst Berlusconi umgeht. Oder das Wetter: seit Wochen nur Sonne und eine sommerliche Wärme tagsüber. Natürlich ist es schön, weil man nicht nur Heizung spart, sondern immer noch im Freien ein Gläschen Weißwein trinken und zusehen kann, wie die Wäsche trocknet. Aber irgendwie gruselig ist es doch – das kann eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen, das alles. Und es ist auch anderswo nicht anders. In Deutschland nehmen die rechtsradikalen Übergriffe zu, der braune Un-Geist breitet sich aus, spukt wieder in Landtagen. Eine Umfrage der ARD ergibt, dass zum ersten Mal mehr als die Hälfte der Deutschen mit der Demokratie nicht mehr zufrieden ist. Und dazu erklärt ein Spitzen-WDR-Mann, das bedeute aber nicht, dass die Deutschen etwas anderes wollten – schauerlich, das, und es wird nicht etwa mit brüllendem Gelächter quittiert, sondern ehrfürchtig als ernstzunehmender Kommentar akzeptiert.
Und so weiß ich: mein mich amüsierender Spaziergang durch den „Tunnel della Paura“ wird sich fortsetzen, wenn ich ab dem 7. November mal wieder für eine Woche nach Köln reise. Und ich beschließe, mich zum Eigenschutz dort dann mit der gleichen Vor-Einstellung zu wappnen wie sie mir hier problemlos geglückt ist, also mit gelassen-heiterer Nachsicht statt mit verkniffener Verbiesterung. Auch die Gespenster, denen ich dort begegnen werde, können nur den erschrecken, der ihnen ihre Drohgebärden ab- und sie immer noch ernst nimmt…

PS: Und siehe da: es funktioniert! Schon am ersten Abend gibt es eine Gespenster-show im Fernsehen, Blüm, Biedenkopf, Eppler bei Maischberger. Und eine weitere Geisterstunde tags darauf, die Kanzlerin spricht über Europa: Hui Buh für Erwachsene. Eigentlich fast ein bisschen schade, dass ich beides so schnell abgeschaltet habe.

Im November 2006

Notiz 36: Wunder

Wunder, so versicherte einst im Jahre 1970 eine deutsche Populär-Sängerin, Wunder gebe es immer wieder, das Problem sei: ich müsse sie auch sehn, wenn sie mir begegneten. Viel zu lange habe ich, wie mir scheint, an dieser Realität mit beharrlich geschlossenen Augen vorbeigelebt. Jetzt endlich und hier in Italien (kein Wunder!, mögen Menschen denken, die mir in dieser Hinsicht voraus sind) mache auch ich dergleichen Beobachtungen, zum Nachteil meiner in Jahrzehnten stabil gebliebenen Überzeugung als tiefgläubiger Atheist.
Ein Beispiel? Ha! Viele! Etwa: mein Handy, Produkt einer Weltfirma des nördlichsten Europa, gab nach kaum mehr als eineinhalb Jahren den Geist auf; dergestalt, dass auf dem Display entweder kryptische Zeichen erschienen oder Querbalken oder flackernde Längsstreifen oder schlicht gar nichts mehr. Die Auskunft zweier unabhängiger Fachmänner in Deutschland und Italien: Display ist kaputt, irreparabel, Ersatz viel teurer als der Erwerb eines neuen Apparates, man kennt das. Sowohl ökonomische Überlegungen als auch der mir fehlende Wille, ein Telefon zu erwerben, mit welchem man auch Filmen, TV kucken und die Gedanken entfernter Verwandter sichtbar machen kann, führten zur Anschaffung eines gebrauchten Handys für 25 Euro. Wie nicht anders zu erwarten, gab dieses schon unmittelbar nach Ablauf der 3-Monats-Garantie sämtliche Funktionen auf.
Warum ich daraufhin das frühere, noch in einer Schublade herumliegende Weltmarkengerät noch einmal ans Ladegerät hängte und anschließend mit meinem Chip testete, weiß ich nicht. Was ich aber inzwischen weiß: das Ding arbeitet seither – und es handelt sich um Monate – ohne zu murren und einwandfrei. Ein Wunder! Es ist mir begegnet, und ich muss es auch sehn.
Und eben nicht das einzige! Im Twingo meiner Lebensgefährtin funktioniert der elektrische Fensterheber der Beifahrertür wieder, nach einem Vierteljahr Streik. In meinem eigenen PKW, einer schon an sich wundersamen japanischen Antiquität, stellte kürzlich der Anlasser seiner Arbeit ein – um sie nach vier Tagen, ohne die Einschaltung irgendwelcher handwerklichen Maßnahmen, kommentarlos wieder aufzunehmen. Und, ein vorläufig letztes Beispiel: ein Kühlschrank, auch er seit gut siebzehn Jahren in Gebrauch, ließ Anfang dieses Jahres zwar noch sein inneres Licht leuchten, blieb aber ansonsten völlig uncool. Ausrangiert und im Arbeitskeller als möglicher Aufbewahrungscontainer für Werkzeuge vorgesehen, setzte er im heißen Juli 2006 die mich langsam fassungslos machende Wunder-Serie fort: nur so aus Daffke mal wieder angeschlossen tut er seither eiskalt seine Pflicht. Mir sind – und dies gerade in meinem letzten Lebensjahr – immer mal wieder Menschen begegnet, die zum Beispiel beim Sprießen und Erblühen kaum handgroßer Setzlinge zu brusthohen Oleanderbüschen oder bei der Geburt eines in der Tat süßen Enkelkindes ehrfürchtig äußern, das sei ja doch echt ein Wunder. Ich bin ja zugegebenermaßen auch begeistert von solchen Erscheinungen, vermag sie mir aber als naturwissenschaftlich geschulter Mensch sehr wohl zu erklären. Was mit bei den eben geschilderten Beispielen nun gerade nicht gelingt. Und deswegen – ich gestehe erneut meine Irritation ein – handelt es sich dabei um wirkliche und wahrhaftige Wunder. Ob und wie das nun mit Italien zu tun, kann ich nicht sagen. Es beschäftigt mich auch nicht so sehr. Weniger jedenfalls als die Frage, wie lange ich einfach zuwarten soll, nachdem seit vorgestern die Halogenbirne im linken Scheinwerfer meines PKW nicht mehr glühen mag. Zumal ich mir nicht sicher bin, ob ein mich kontrollierender Carabiniere meine Erklärung akzeptiert, dass ich auch in diesem Fall auf ein Wunder warte, und wenn es mir begegnet, ich dann schon wieder gut sehen werde.

16.9.2006

Notiz 35: Überraschungen

Das Erfreuliche am Älterwerden: es gibt immer weniger böse Überraschungen; man hat sie nach und nach alle überlebt. Noch erfreulicher aber, finde ich: es gibt immer noch auch schöne Überraschungen. Die größte in der letzten Zeit war für mich der deutsche WM-Sommer 2006. Entgegen meinen (und nicht nur meinen) Befürchtungen – und die waren ja auch nicht ganz unbegründet – strahlte die seit Jahren mir so trist und DDR-grau vorkommende BRD in den warmen Farben von Weltoffenheit und Gastfreundschaft, ein Bild, wie ich es nie in meinem Leben gemalt hatte und mir auch nicht vorstellen konnte, obwohl ich es mir immer gewünscht hatte. Ich konnte es zuerst kaum glauben, fragte zweifelnd nach, suchte nach verschwiegenen, verheimlichten Fakten (von denen es ja auch ein paar gab, aber offenbar nur marginale), ich sprach mit Menschen, deren Urteil ich vertraue. Und fand bestätigt, was da aus dem Norden herüberwehte an einer Heiterkeit und einem unüberheblichen Selbstbewusstsein, wie ich es bisher nur von anderen Ländern, etwa denen ums Mittelmeer herum, kannte. Nach dem verbissenen „deutschen Herbst 1977“ und dem in wesentlichen Teilen nie ganz unaktuell gewordenen „Wintermärchen“ von Heinrich Heine nun dieser „deutsche Sommer“ – fehlt eigentlich nur noch ein entsprechender Frühling zu einer ausgeglichenen Bilanz…
Die schönste Überraschung der letzten Zeit aber war die Erfahrung mit den Gästen hier im Adagio. Dass alle, ohne Ausnahme (und es waren nicht wenige) unverstellt begeistert das Haus, seine Lage und die Gestaltung von Räumen und Gelände lobten, freut natürlich. Und bestätigt, dass die vielen Entscheidungen, die oft in kürzester Zeit getroffen werden mussten, richtig waren, dass sich das Wagnis Adagio auszahlt. Unvermutet aber gab es noch mehr: die Begegnung mit ganz unterschiedlichen Menschen, von ihrer Herkunft wie von ihrem Alter; ein kurzes Geplauder nach der Rückkehr von einem Ausflug zum Strand, in den Apennin oder eines der Städtchen der Marken; die Einladung zu einem Glas Wein oder zu einem Abendessen, mal im Restaurant, mal unter der großen Eiche oder auf der Gästeterrasse; dabei unversehens in Gespräche gekommen, erstaunliche Biografien werden erzählt, manchmal zögern zuerst, stockend, mit abwartender Vorsicht, dann aber oft ausführlich, mit Einzelheiten, über die nicht leicht zu reden ist, zumal mit Menschen, die man noch nicht so gut kennt, bis hin zu tiefer Bewegung, nachdenkliche Pausen, leise Ergänzungen, ein tiefer Schluck aus dem Glas – und dann doch immer wieder zurückgefunden zu der Heiterkeit einer warmen Italienurlaubsnacht und der gelassenen Ruhe eines Hauses inmitten der sanften Hügel der noch weitgehend intakten Landschaft der Marken.
Ein Gefühl von Glück. Und von Dankbarkeit, dass sich so etwas ereignet, hier, heute, für Augenblicke, die sich zu Stunden, zu Tagen summieren. Und nicht nur ein Mal, als Ausnahme. Sondern – so scheint es – als eine geschenkte Qualität des Hauses Adagio.

20. August 2006

Notiz 34: Warum es im Himmel keine Fernsehapparate gibt

Was die wenigsten wissen: im Himmel gibt es keine Glotze. Das mag die Christen unter Ihnen zunächst befremden, weil zu den vielen Dingen, an die sie glauben, auch die feste Zuversicht zählt, im Paradies dermaleinst auf nichts verzichten zu müssen, was zu einem wahrhaft seligen Leben gehört. Aber schon kurzes Nachdenken hilft diesem Irrtum ab: wer würde es wohl ernsthaft als Belohnung empfinden, in alle Ewigkeit ohn Unterlass nachmittags Bärbel Schäfer, am Vorabend die Telenovelas, nach der Tagesschau immer mehr Tatorte voller Schleichwerbungsmetastasen und gar Sonntag für Sonntag Sabine Christiansen kucken zu müssen? Nein, nein, im Paradisneyland ist die wahre Glückseligkeit garantiert durch geregeltes Frohlocken und Hallelujah-Singen – bekannt aus „Ein Münchener im Himmel“ – , unaufhörliche und Gott sei Dank natürlich widernatürlich-sexlose Liebe (vgl. Benedikt 16: „Deus est caritas“) und das fröhliche Wiedersehen mit Menschen, die man allzu früh verloren hat, sowie das – überraschenderweise ohne Wutanfälle verlaufende – Treffen auf Menschen, die man eigentlich eine Etage tiefer wähnte (und wünschte). Das genügt völlig als Programm, kein Engel vermisst die Ablenkung, Erregung, Einschlafhilfe oder den dankbar begrüßten Ersatz für quälende Gespräche im Familienkreis, was alles das Fernsehen uns auf Erden so bietet.
Wie alles im Himmel – und in der Hölle natürlich auch – ist das kein Zufall, sondern von Gott, seinem Herrn Sohn und dem messerscharf nach- und vorausdenkenden Heiligen Geist in Gnade und Weisheit so gefügt. Als der Herr nach dem Urknall damals eine Woche lang an dem Projekt Erde gebastelt hatte, sah er bekanntlich, dass alles gut war. Dummerweise blieb es nicht dabei (was ebenfalls weithin bekannt sein dürfte). Nach Evas Apfeltrick erfanden Adam und vor allem seine Söhne aller nachfolgenden Generationen fast nur Ungutes: den Krieg, die Sklaverei, die Ehe, die Waffen (von der Lanze über den Vorderlader bis zur Atombombe), die Folter und die zugehörigen Instrumente von der Daumenschraube bis zum PKW, und nicht zuletzt eben auch den Rundfunk und das Fernsehen. Der Herr des Himmels sah das alles, war traurig und wütend, schickte erst die Sintflut (vergebens) und dann später seinen Sohn (dito, weil dessen aufopferungsvolles Bemühen durch die alsbald herumwuchernden Kirchen völlig konterkariert wurde). Gott sah dies wie alles von fern, wozu er keinen diesbezüglichen Apparat benötigte, und er sah es Tag für Tag, Jahrhundert für Jahrhundert und wurde immer trauriger und wütender. Und so tat er schließlich das Einzige, was zu tun er noch die Macht hatte: er verbannte wenigstens dieses Teufelszeug, genannt Massenmedien, in den Herrschaftsbereich desselben, in die Hölle also.
So kam es, dass es im Himmel keine Glotze gibt. Und dies ist ein weiterer Beweis für die Richtigkeit des Bibelwortes: Wer(s) glaubt, wird selig. Amen(de).

11. Juni 2006